„Weißte worauf ich jetzt richtig Bock hätte? Auf so einen Theater-Livestream!“
—- Alle Menschen, Anfang 2021 —
Natürlich ist T2051MCC eine Wissenschaftskonferenz. Akademiker:innen halten Vorträge, in denen sie eine neue Arbeit vorstellen. Davor haben sie sich mit einem Abstract beworben, wurden akzeptiert und haben es dann irgendwie geschafft, neben dem Beitrag für den neuen IPCC-Bericht, den UNEP Adaptation Gap Report, einer Antragsdeadline und der Erziehung der Tochter in Coronazeiten, neben alledem also mit einem internationalen Autor:innenteam einen Beitrag für T2051MCC zu schreiben. Soweit, so normal. Soweit, so geschehen.
Was ihre Konzeption betrifft ist diese Konferenz für uns zuallererst ein theatrales Formexperiment. Es macht den Perspektivenwechsel zum Prinzip: Wissenschaftler:innen dient die fiktionale Rückschau als Ausgangspunkt für die Erarbeitung neuer Beiträge. Sie arbeiten nach den Spielregeln der Wissenschaft (nicht etwa als von uns bezahlte Autor:innen), erarbeiten sich dabei jedoch neue Formen und Methoden. Darunter sind Werke der Science Fiction oder auch Fiction, aber auch empirische Beiträge, die sich auf Erhebungszeiträume erstrecken, in denen das Jahr 2021 irgendwo in der Mitte liegt. Dieses Prinzip fortgeführt in Arbeiten, die auf echten Interviews mit Kolleg:innen beruhen, die jedoch ebenfalls über das Heute hinausgehen und eine Form spekulativer Evidenz erzeugen. Die Ansätze schlagen sich in Formexperimenten nieder, etwa der in Agony Aunt Letters vorgetragenen Zukunftserzählung.
Auch dem Publikum bietet sich durch die Perspektive von 2051 auf heute ein lustvolles Spiel mit Zeitschichten. Schließlich liegt in der Gleichberechtigung digitaler und physischer Räume ein drittes Perspektivenspiel zwischen globalen und lokalen Orten. Es spiegelt so inszenatorisch den Problemkomplex zwischen der globaler Erderhitzungsdynamik und lokaler Betroffenheit.
Als künstlerische Forschungsanordnung ist die Konferenz ein soziales Labor. Wo auch immer T2051MCC in der individuellen Wahrnehmung zeitlich verortet ist: Die Teilnehmer:innen werden in Distanz zu sich selbst gebracht. Als fiktive Künftige sprechen wir über uns selbst. Unser Forschungsinteresse gilt der entstehenden Ästhetik sozialer Interaktionen. Wie wirkt diese Anordnung auf die Narrative der Gegenwart? Welches performative Potential entfaltet die Wissenschaft? Was bedeutet es, in mehreren Rollen über uns zu sprechen?
Die Konferenz wuchert durch sechs verschiedene Räume: zunächst ein Eingangsbereich, der als Schleuse und Tutorial für die Ankommenden fungiert und zwei zentrale Vortragsräume mit sehr unterschiedlichem Szenario. Der vierte Raum ist ein Korridor, der nicht nur alle Orte verbindet, sondern auch als Begegnungsort der Vortragenden und der Gäste miteinander funktioniert. Der fünfte Raum ist ein Archiv und Observatorium, in dem sich im Laufe der Konferenz zunehmend die Inhalte anhäufen, der aber auch Einblick in alle anderen Räume gewährt. Technisch ist dies auch der Überlauf, wenn die Haupträume über die Kapazitätsgrenze kommen. Und zuletzt noch ein Raum, der einzig als Erfahrungsort ausgelegt ist, in dem man Beobachtungen natürlicher Prozesse in großer Konzentration machen kann.
Wir binden auch internationale Kunstwerke in die Konferenz ein, um den Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft weiter anzuregen und aber auch: Jene Art von Vielstimmigkeit zu ermöglichen, die nur durch ein Nebeneinander verschiedener Kunstpraktiken entsteht. Hierbei wird der fiktive Rahmen nicht gebrochen. Die Werke werden in der Rückschau betrachtet und anhand von Dokumenten analysiert. Ein Live-Streaming einer Performance im Festival-Modus findet nicht statt. Auch wenn darauf jetzt alle so richtig Bock haben.
T2051MCC ist einem Prozess entwachsen, wie wir ihn in der Theaterarbeit kennengelernt haben. Die Methoden, auch die Mittel sind erkennbar dem klassischen Baukasten entnommen: Wir haben das Bellevue di Monaco von der Künstlerin Susi Gelb verwandeln lassen, haben parallel ein digitales Konferenzzentrum entworfen und die Vorträge selbst an einen dritten Ort verlegt. Dazwischen gibt es Performer:innen und Statisterie, Häppchen und Sekt. Das kennt man alles. Wenn man das Portal nicht erkennt, ist das nicht weiter schlimm. Auf der T2051MCC führt kein Weg daran vorbei.
Home – The 2051 Munich Climate Conference (t2051mcc.com)
by Benno Heisel, Andreas Kohn and Theresa Spielmann